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Augen auf! Reinigung der Stolpersteine in Wiesbaden – ein gesellschaftsrelevanter Beitrag zur Erinnerungskultur.

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In vieler Hinsicht veränderte die Herrschaft der Nationalsozialisten das Leben der Menschen in Wiesbaden dramatisch - von brennenden Synagogen bis zur Deportation zahlreicher Wiesbadenerinnen und Wiesbadener. Gesamtgesellschaftlich ist es ein vordringliches Anliegen, die Vergangenheit zu kennen und zu verstehen, um in der Gegenwart zu handeln und somit die Zukunft zu gestalten.

An unterschiedlichen Orten wird an die düsteren Seiten der Stadtgeschichte erinnert, so etwa an der Gedenkstätte für die ermordeten Wiesbadener Juden am Michelsberg oder Deportationsmahnmal Schlachthoframpe. Die Stolpersteine, die der Kölner Künstler Gunter Demnig ersann, bringen die Erinnerungskultur noch stärker zu uns in den Alltag: Gedenktafeln aus Messing mit dem Namen von Opfern des Nationalsozialismus werden vor dem letzten selbstgewählten Wohnort verlegt. Somit begegnet uns Geschichte beim Blick vor unsere Füße, lässt uns vielleicht einen Moment aus dem Tritt geraten, verweilen und lesen. Die Stolpersteine sind das größte dezentrale Denkmal der Welt. Die Verantwortung für Organisation und Recherche der Stolperstein-Verlegungen liegt beim "Aktiven Museum Spiegelgasse für Deutsch-Jüdische Geschichte in Wiesbaden e.V." In Wiesbaden wurden bisher 672 Stolpersteine vor 301 Häusern verlegt (Datenstand Dezember 2019). Wiesbaden ist übrigens nur eine von 1265 Kommunen in Deutschland, in denen Stolpersteine zu finden sind – und Deutschland ist wiederum nur eines von bisher 21 an der Aktion beteiligten Ländern.

Schülerinnen und Schüler der Humboldt-Schule Wiesbaden haben am 3. September in einer gemeinsamen Aktion mit dem Aktiven Museum Spiegelgasse Stolpersteine in Wiesbaden geputzt und in einer kleinen Zeremonie Rosen niedergelegt.
Unter den Initiatoren sind besonders Marcus Griebling, stellvertretender Schulleiter der Humboldt-Schule, Heidrun Ochs, die die Aktion in diesem Jahr betreute und Ulrike Pontani, die sich jahrzehntelang um die Erinnerungskultur verdient gemacht hatte, ebenso wie Angela Wagner-Bona vom Aktiven Museum Spiegelgasse zu nennen.

Im Gespräch mit port01 Wiesbaden äußerte sich Marcus Griebling zum Stand der Erinnerungskultur: „Ich glaube, dass die Erinnerungskultur sich abgeschwächt hat und dass liegt in erster Linie an den immer weniger werdenden Zeitzeugen, die zu meiner Zeit (Abiturjahrgang 1994) noch zahlreich in fast jeder Familie vorhanden waren. Diese unmittelbare Betroffenheit der eigenen Großeltern und Urgroßeltern hat meines Erachtens sehr zur Erinnerungskultur beigetragen. Natürlich wird das Thema noch in der Schule in Mittel- und Oberstufe behandelt, jedoch ist die Erinnerungskultur weniger präsent, da man ja nicht mehr persönlich betroffen durch die Folgen der NS-Zeit ist.“ Zur Resonanz der Schülerinnen und Schüler auf die Reinigungsaktion führt Marcus Griebling aus, dass sie ein geeignetes Mittel war, den Diskurs zur Erinnerungskultur zu intensivieren: „Die Reaktion der Schülerinnen und Schüler auf die Aktion war sehr positiv und wir hatten, nachdem wir die Aktion erläutert hatten, sofort eine große Anzahl von Freiwilligen, die sich beteiligen wollten. Es fällt mir seit der Reinigungsaktion auf, dass immer wieder Schülergruppen und auch Eltern bewusst an den Stolpersteinen vor unserer Schule stehen bleiben und ins Gespräch kommen. Daher denke ich, dass die Stolpersteine helfen, diese leider nicht mehr so präsente Erinnerungskultur durch den Dialog wieder in die Köpfe der Menschen zu bringen. Die Stolpersteine zeigen, dass der Terror der NS-Zeit nicht irgendwo an irgendeinem Ort stattgefunden hat, sondern konkret in Wiesbaden, die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt in grausamster Art und Weise in Ihren privaten Häusern heimsuchte.“

Ulrike Pontani, die bereits seit Jahrzehnten Mitglied im Aktiven Museum Spiegelgasse ist, wurde von Anfang an auf die Stolpersteine aufmerksam. Zu ihrem persönlichen Bezug zu den Stolpersteinen berichtet sie port01 Wiesbaden: „Insbesondere anhand der Stolpersteine, die vor unserer Schule liegen, konnte man den Schülern das Schicksal dieser Menschen, die in unseren Räumen lebten, nahebringen. Manchmal nahmen an Stolpersteinlegungen auch Verwandte, oft aus dem Ausland, teil und es ergaben sich viele positive Begegnungen. Ich erinnere mich, dass an einem solchen Anlass ein Verwandter Cello spielte und eine Seite riss. Das war von großer Symbolkraft.“ Gerade in Anbetracht der sehr geschwundenen Zahl an Zeitzeugen, die aus eigener Anschauung berichten können und der aktuellen gesellschaftlichen Situation ist Ulrike Pontani die Aufrechterhaltung der Erinnerungskultur ein großes Anliegen: „Ich persönlich finde es sehr wichtig an diese Zeit und ihre schrecklichen Folgen zu erinnern, gerade heute, wo sich ein so menschenverachtendes Gedankengut erneut breit macht. Meine Generation, die in Frieden, Wohlstand und Demokratie aufgewachsen ist, hat die Verpflichtung dazu. Der Erinnerung soll eine Zukunft gegeben werden, damit die Vergangenheit sich nicht wiederholt.“ Heute werden andere Formen gesucht, um Zugang zu diesen Themen zu bekommen. Zum Beispiel werden auch in modernen Gesellschaften Feindbilder künstlich aufgebaut. Dies erleben wir aktuell beispielsweise mit Flüchtlingen in Europa oder bisweilen mit ethnischen Minderheiten.

Ulrike Pontani, die sich u.a. auch über den Ortsbeirat, als Schöffin, in Veranstaltungen mit einer arabisch-jüdischen Jugendtheatergruppe, beim Gedenkkonzert für die Deportation der Sinti und Roma aus Wiesbaden oder durch Deutschunterricht für unbegleitete Flüchtlinge im Jahr 2015 aktiv in das städtische Leben einbrachte, blickt positiv auf ihr Engagement zurück: „Mich hat die ehrenamtliche Arbeit bereichert und viele neue Horizonte eröffnet, die ich auch in meine schulische Arbeit einbringen konnte.“

Für 120 Euro kann übrigens jeder eine Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines Stolpersteins übernehmen. Wenn man eine Patenschaft für Stolpersteine oder Erinnerungsblätter übernehmen möchten, sollte man sich an das Aktive Museum Spiegelgasse wenden. Port01 Wiesbaden wünscht weiterhin viel Erfolg!

Weitere Infos:
https://www.wiesbaden.de/kultur/stadtgeschichte/gedenkorte/errinnerungsprojekt-stolpersteine.php
https://www.am-spiegelgasse.de/willkommen-in-der-spiegelgasse/geschichte-und-erinnerung/
http://www.stolpersteine.eu/start/
 

News von: port01 Redaktion / Wiesbaden // yt, 23.10.2020

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